Werden wir bald nicht mehr wissen, wie Steinkohlenbergbau funktionierte? Museen und Schaubergwerke werden uns auch in Zukunft noch Einblicke erlauben. Aber was ist mit der Produktion von Schallplatten und demnächst vielleicht auch von Verbrennungsmotoren? Die Industriefotografie dokumentiert seit der Mitte des 19. Jahrhunderts – also mit Beginn der Fotografie – Fabrikgebäude, Maschinen und Fertigungsprozesse. Die ursprüngliche Intention mag Auftragsarbeit für die Unternehmen oder eine technik- und sozialkritische Sicht auf die Industrialisierung gewesen sein. Jetzt fügen sich die Fotos zu einer einzigartigen Dokumentation von Industriegeschichte und Industriekultur zusammen. Die Zeit bleibt nicht stehen. Heutige Industriefotografen halten unsere Zeit für morgen fest.
Hochwertige Ausrüstung für flexiblen Einsatz
Der Industriefotograf ist Allrounder und Spezialist zugleich. Er fotografiert ganze Areale und benötigt dazu Spezialobjektive wie ein Architekturfotograf, damit auch bei extremen Bildwinkeln stürzende Linien vermieden werden. Mit einer Kamera-Drohne zeigt er Industriebauten aus ungewohnter Perspektive. Er ist in staubigen Arbeitsumgebung, in einem klinisch anmutenden Reinraum, in schwach beleuchteten Hallen und bei problematischem Mischlicht unterwegs. Um Bewegungen von Menschen und Maschinen einzufrieren, braucht er kurze Belichtungszeiten und deswegen lichtstarke Objektive. Blitzlicht hilft nicht, wenn es gilt, sprühende Funken oder die Reflexion von Licht auf Metall und Glas einzufangen. Oder geht es um die fließenden Effekte einer Langzeitbelichtung? Ohne solides Stativ werden solche Aufnahmen nicht funktionieren. Aus Sicherheitsgründen oder um eine bestimmte Bildwirkung zu erzielen, wird das Motiv aus der Ferne mit einer Telelinse optisch verdichtet. Oder der Fertigungsprozess ist so filigran, dass er nur mit einem Makroobjektiv dokumentiert werden kann. Zu jeder Maschine gehören Menschen, die sie bedienen – Portraitfotografie wird damit zum unverzichtbaren Bestandteil von Industriefotografie.
Gefragt sind oft große Formate in bester Qualität. Das Objektiv muss also kombiniert werden mit einem Kameragehäuse mit hochauflösendem Sensor, der auch bei hoher Empfindlichkeit kein störendes Bildrauschen produziert. Kleinbildformat (Vollformat) ist deshalb Mindestanforderung, Mittelformat die bessere Wahl. Kameras und Objektive, die diese Anforderungen erfüllen, kosten im deutlich fünfstelligen Bereich. Industriefotografie ist eine Sache für Profis.
Auftrag oder Idee bestimmen den Bildaufbau
Nur wenige Industriefotos können im Rahmen der Panoramafreiheit entstehen, also von öffentlichen Standorten ohne Zustimmung des Unternehmens. Der Blick über den Zaun eines Recyclinghofs ist fotografisch sicher reizvoll, kann rechtlich aber schon problematisch sein. Glücklich kann sich der Industriefotograf schätzen, der ohne besonderen Auftrag Zugang zu Produktionsanlagen oder Lagerstätten hat und seiner Kreativität freien Lauf lassen kann. Wenn ein Unternehmen einen Blick hinter die Kulissen gewährt, wird es bei der bildlichen Darstellung mitreden wollen. Jedes Foto ist subjektiv, allein schon durch die Auswahl des Motivs und die Bildgestaltung. Kein Betrieb wird akzeptieren, dass unattraktive Arbeitsplätze, veraltete Anlagen, problematischer Arbeits- und Umweltschutz in einem prächtigen Bildband oder in einer umfassenden Reportage dokumentiert werden. Geht es um Geschäftsbericht und Imagebroschüre, wird sich die Industrie von ihrer besten Seite zeigen wollen. Da muss auch mal die digitale Nachbearbeitung helfen – nicht nur bei der Bereinigung unplausibler Bildelemente wie einem Warnlicht, weil die Maschine für das Foto gestoppt werden musste. Auch unerwünschter Schmutz wird mit dem elektronischen Wischmob getilgt.
Bild: Ant Rozetsky / Unsplash